Wut
Meine Oma ist der vitalste Mensch, den ich kenne. Sie hat uns mit aufgezogen, mich und meinen Bruder. Mit ihr machten wir als Kinder endlose Spaziergänge durch den Wald, über steinige und verwinkelte Wege, über kuhfladenüberzogene Wiesen und in die Berge. Wir außer Atem vom Herumlaufen und von der Anstrengung, sie auch mit 85 immer noch auf 5cm-Absätzen ("Die bin ich gewohnt, ich kann gar nicht auf flachen Schuhen gehen") und knielangem Rock. Bis vor einigen Monaten färbte sie sich auch noch die weißen Haare. Meine Oma hat 13 Kinder auf die Welt gebracht und 10 davon allein aufgezogen. Von Männern will sie seit dem frühen Tod meines Opas nichts mehr wissen. Sie ist eine selbständige, patente Frau, die allein in einer Wohnung im Stadtzentrum wohnt. Mit 94 Jahren. Dann, vor einer Woche, stürzte sie, brach sich die Nase und kugelte sich die Schulter aus. Sie kam ins Krankenhaus, wo sie nach erstem Verarzten wieder nach Hause geschickt werden sollte. Zum Glück überlegten sie es sich anders. Ich will mich jetzt nicht darüber auslassen, wie man mit alten Menschen in der heutigen Gesellschaft verfährt, denn es ist schockierend, wie wenig man sich in Krankenhäusern, Altenheimen und Pflegediensten um sie schert - außerdem kennt sicher jeder von den Lesern hier mindestens einen ähnlichen Fall. Jedenfalls wurde Oma heute von der HNO-Station, wo sie aus Platzgründen "zwischengelagert" war, in die Medizin verlegt - weil es "doch blöd ausschaut, wenn sie auf der HNO stirbt, denn da dürfte sie doch eigentlich nicht liegen".
Heute nach der Schule war ich sie zum ersten Mal besuchen. Und wie ich sie da so liegen sah, zwischen all den Schläuchen und dem zerbeulten Gesicht, musste ich mich sehr zusammenreissen, um nicht zu weinen. Und ich weiß, man sollte so etwas nicht denken, aber ich finde es einfach nur unfair, dass es meiner Oma bei dem Leben, das sie geführt hat, nicht vergönnt sein soll, friedlich einzuschlafen, sondern dass das eingetreten ist, wovor sie immer am meisten Angst hatte. Sie liegt im Krankenhaus ans Bett gefesselt, kann nicht mehr gut reden und sich nicht bewegen. Es macht mich so wütend.
Heute nach der Schule war ich sie zum ersten Mal besuchen. Und wie ich sie da so liegen sah, zwischen all den Schläuchen und dem zerbeulten Gesicht, musste ich mich sehr zusammenreissen, um nicht zu weinen. Und ich weiß, man sollte so etwas nicht denken, aber ich finde es einfach nur unfair, dass es meiner Oma bei dem Leben, das sie geführt hat, nicht vergönnt sein soll, friedlich einzuschlafen, sondern dass das eingetreten ist, wovor sie immer am meisten Angst hatte. Sie liegt im Krankenhaus ans Bett gefesselt, kann nicht mehr gut reden und sich nicht bewegen. Es macht mich so wütend.
pringle - 21. Mär, 20:45